ZEIT ERZÄHLEN
ZEIT ERZÄHLEN
Eine Veranstaltungsreihe zum 90. Geburtstag von Walter Kempowski
25. & 26.04. Symposium + 25.–28.04. Ausstellung + 27. & 28.04. Theater

UE – University of Applied Sciences Europe, Museumstraße 39, 20765 Hamburg
Altonaer Museum, Museumstraße 23, 20765 Hamburg
Altonaer Theater, Museumstraße 17, 20765 Hamburg

Zeit erzählen
25. & 26.04. Symposium + 25.-28.04. Ausstellung + 27. & 28.04. Theater


Audimax — UE University of Applied Sciences - Museumstraße 39, 22765 Hamburg
Altonaer Museum - Museumstraße 23, 22765 Hamburg
Altonaer Theater
- Museumstraße 17, 22765 Hamburg
Symposium

Ortslinien – Überlagerung von Zeiten

25. & 26. April 2019
UE – University of Applied Sciences Europe
Museumstraße 39
Hamburg

Zwei Tage mit einhundert Jahren Abstand

Symposium mit Ausstellung anlässlich des 90. Geburtstags von Walter Kempowski (1929-2007) zu seinem bisher unveröffentlichten Spätwerk ›Ortslinien‹ in Hamburg

Was sind die ‚Ortslinien‘?

In seinem letzten und unvollendet gebliebenen Projekt ›Ortslinien‹ hat Walter Kempowski bis zu seinem Tod an einem digitalen Archiv (bestehend aus Texten, Fotos, Gemälden, Filmen und Musikstücken) gearbeitet. Diese Sammlung war der Versuch, jeden Tag von 1800 bis 2000 durch eine unterschiedliche Anzahl von ihm ausgesuchter ›Kunstprodukte‹ zu repräsentieren. Darunter verstand Kempowski sowohl Werke von Kunstschaffenden wie auch Erzeugnisse der Massenmedien oder Dinge des Alltags. Hiermit verließ er die lineare Form des Buches endgültig zugunsten einer vom ihm stets angestrebten synchronen Darstellung von Geschichte.

Mit dem geometrischen Begriff der ›Linie‹ (der eine Gerade als Menge der auf ihr liegenden Punkte bezeichnet) wollte Kempowski denkbar machen, dass unterschiedliche Zeitebenen miteinander verschaltet werden können und so ein neuer Zugang zur Historie – eine Art ›Geschichtsschreibung 2.0‹ – möglich ist. Als solcher steht er der Struktur des individuellen Erinnerns nahe, bei dem die virtuelle Vergangenheit präsent gemacht wird in der gelebten Gegenwart. Zugleich ist die erzeugte Verbindung jedoch apersonal und aktualisiert sich gleichsam erst in dem durch sie hergestellten Raum.

Ein solcher Geschichtszugang ist im ›Ortslinien‹-Projekt dadurch gegeben, dass ausgewählte ›Kunstprodukte‹ von jeweils zwei Tagen mit exakt einhundert Jahren Abstand gleichzeitig zur Ansicht gebracht werden – also etwa die Dateien vom 5. Mai 1871 und vom 5. Mai 1971. So verbindet sich plötzlich ein Foto dreier Frauen mit vollgepackten Einkaufstüten in einem Bochumer Supermarkt mit einem Heeresbericht des preußischen Hauptquartiers über eine Kavallerieattacke vor Sedan. Über das Wie der ›Ortslinien‹ gibt es nur wenige Aussagen von Walter Kempowski: So spricht er in einem Interview mit der taz im Jahr 2003 von drei Monitoren, die er sich zu einer Auswahl und gleichzeitigen Anzeige der Ereignisse vorstellen könnte. Hiervon ausgehend arbeiten Studierende der University of Applied Sciences Europe in Hamburg seit einigen Semestern an einem adäquaten Schnittstellendesign. Langfristiges Ziel ist es dabei, die Fülle der Daten sowohl online als auch in Ausstellungssituationen zugänglich zu machen.

Symposium

Mit dem Symposium soll nicht nur gezeigt werden, inwieweit Kempowskis Vorhaben anschlussfähig ist, sondern auch wie es selbst als eine strukturelle Vorahnung größerer Veränderungen der medialen Wirklichkeit angesehen werden kann. Die Beiträge und der Austausch laden dazu ein, Methoden und Verfahrensweisen im Umgang mit Geschichte sichtbar werden zu lassen, sodass die Frage nach deren Rekonstruktion im digitalen Zeitalter über das Symposium hinaus zu neuen Gestaltungsideen anregt. Da ›Ortslinien‹ ein formal wie medial vielschichtiges Werk ist, bei dem unterschiedliche Themenfelder zusammenfließen, wurden für das Symposium Expert*innen aus unterschiedlichen Bereichen gewonnen, um den interdisziplinären Austausch zu ermöglichen.

Archiv, Collage, Mash-Up

Neben Beitragenden aus dem Bereich der Literatur, dem Interfacedesign und der Geschichtswissenschaft sind Referent*innen aus der KI-Forschung sowie Musiker*innen und andere Künstler*innen eingeladen, die sich verwandten Methoden – wie der Collage oder dem Mash-Up – bedienen: Aus Sicht der Informatik etwa lässt sich Kempowskis Vorgehen als Bruch mit dem vorherrschenden Code der kulturellen Deutung verstehen. Vom Standpunkt der Literaturwissenschaften aus kann wiederum diskutiert werden, ob ›Ortslinien‹ überhaupt noch ein schriftstellerisches Projekt ist. Der Versuch, Historie durch teilweise Dekontextualisierung und unmittelbare Anschauung zu erzählen, schreibt dem Werk auch Potentiale eines Lehrmittels aus der Perspektive der Bildungswissenschaften zu. Räumliche Installationen der ›Ortslinien‹ werfen die Frage nach einem multimedialen Denkmal auf. Durch die Collage aus Texten, Bildern, Filmen und Musik rückt das Vorhaben zuletzt in die Nähe des Samplings.

Kooperation

Altonaer Theater, Altonaer Museum, Akademie der Künste Berlin, Freie Akademie der Künste Hamburg, Kempowski Stiftung Kreienhoop, University of Applied Sciences Europe Hamburg und Technische Universität Berlin